
Ein Investor mit Kultstatus – und wachsendem Risiko
Michael Saylor inszeniert sich gern dramatisch: Mal postet er KI-generierte Bilder von sich als Schiffskapitän im Schneesturm, mal unter einem Orangenbaum, um Gelassenheit zu demonstrieren. Doch hinter der Bildsprache steht ein ernstes Problem.
Der Bitcoin fiel zuletzt binnen sieben Wochen von 126.000 auf unter 81.000 Dollar – der größte Einbruch seit drei Jahren. Während frühere Korrekturen von Übertreibungen geprägt waren, sieht Co-Pierre Georg vom Frankfurt School Blockchain Center diesmal „fundamentale Spannungen“, die noch nicht bereinigt seien.
Im Mittelpunkt: Saylor und das Geschäftsmodell seiner Crypto-Treasury-Company Strategy.
Strategy hält laut Bitcointreasuries.net fast 650.000 Bitcoin – mehr als 60 Prozent aller BTC, die in den Händen börsennotierter Unternehmen liegen. Damit ist Saylor nicht nur Aushängeschild des Marktes, sondern potenzieller Auslöser von Schockwellen.
1. Ein System, das nur steigt, wenn die Kurse steigen
Treasury-Unternehmen wie Strategy funktionieren nach dem gleichen Prinzip:
Sie geben Aktien oder Anleihen aus – und stecken das Geld in Bitcoin. Eine Wette auf steigende Kurse, finanziert über Währungen, die durch Inflation entwertet werden.
Doch das System hat einen Haken:
- Bitcoin ist zyklisch.
- Fallen die Kurse, droht ein Zwangsverkauf.
- Zwangsverkäufe verstärken den Abwärtstrend – eine gefährliche Spirale.
Analysten berichten bereits von Verkäufen einzelner Treasury-Firmen während des jüngsten Crashs. Für Georg ist das ein Warnsignal: „Wie ein Fieberthermometer, das zeigt, wie es dem Patienten geht.“
Die Frage: Was passiert, wenn Saylor selbst verkaufen müsste?
2. Steigende Finanzierungskosten drücken Strategy in die Enge
Die zweite Gefahr: Saylors Finanzierung wird teurer – und riskanter.
Der Aktienkurs von Strategy fiel zuletzt um 34 Prozent, der Marktwert liegt unter dem Nettoinventarwert der Bitcoin-Bestände. Ein schlechtes Zeichen. Zudem musste Strategy dieses Jahr hochverzinste Vorzugsaktien platzieren, die Anlegern zehn Prozent Dividende versprechen.
Doch:
- Die Papiere werden unter Ausgabepreis gehandelt.
- Das heißt: Investoren verlangen noch höhere Renditen.
- Strategy muss für frisches Kapital immer mehr zahlen.
Schon jetzt summieren sich Zins- und Dividendenzahlungen auf 689 Millionen Dollar pro Jahr. Bei weiter fallenden Kursen könnte die Finanzierung untragbar werden.
3. MSCI droht mit Rauswurf – Milliarden könnten abfließen
Noch brisanter wird die Lage durch eine mögliche Entscheidung des Indexanbieters MSCI. Er prüft derzeit, ob Firmen wie Strategy überhaupt noch als operative Unternehmen gelten – oder als Fonds, die nicht in klassische Aktienindizes gehören.
Das Ergebnis kommt im Januar – und könnte den Markt erschüttern.
Wird Strategy aus MSCI World und MSCI USA entfernt, droht:
- ein Zwangsverkauf von ETF-Anbietern
- ein Abfluss von bis zu 2,8 Milliarden Dollar
- bei Folgeentscheidungen anderer Anbieter sogar bis zu 8,8 Milliarden Dollar
Der Analyst Nikolaos Panigirtzoglou von JP Morgan warnt: Ein Rauswurf könnte „erheblichen Druck“ auf die Bewertung ausüben. Und je stärker der Druck steigt, desto schwieriger wird die Refinanzierung.
4. Saylors „Never sell“-Versprechen – ein psychologischer Sprengsatz
Der wichtigste Risikofaktor ist allerdings psychologischer Natur.
Saylor hat Anlegern wiederholt versprochen:
„Ich werde niemals Bitcoin verkaufen.“
Das Problem: Sollte er gezwungen sein, dieses Versprechen zu brechen, wäre die Signalwirkung möglicherweise verheerend.
Nicht wegen der Mengen – ein Verkauf könnte den Kurs um etwa 30 Prozent drücken, sagt Analyst André Dragosch. Solche Schwankungen kennt der Markt.
Doch der symbolische Schaden wäre enorm:
- Wenn Saylor verkauft, glauben viele Investoren, dass der Bullenmarkt vorbei ist.
- Das könnte Massenverkäufe auslösen.
- Die Folgen wären „nicht abschätzbar“, warnt Georg.
Zwischen Genie und Risiko – wo steht Saylor wirklich?
Dass Strategy trotz allem nicht insolvenzgefährdet ist, betont Dragosch ausdrücklich. Die Bitcoin-Bestände übersteigen die Verbindlichkeiten um das 3,7-Fache. Es geht also nicht um ein Bilanzproblem – sondern um ein Liquiditäts- und Vertrauensproblem.
Saylor selbst bleibt kämpferisch. Als der Aktienkurs im November auf einen Tiefpunkt fiel, postete er ein KI-Bild von sich im Schneesturm mit dem Titel „Endure“ – aushalten.
Doch genau das muss nun auch der Markt. Denn solange Saylor Hunderte Tausend Bitcoin kontrolliert, bleibt er einer der größten Stabilitätsfaktoren – und eines der größten systemischen Risiken zugleich.
Fazit: Der Kryptomarkt hängt an einem Mann – und das macht ihn verwundbar
Michael Saylor hat Bitcoin mehr beeinflusst als fast jeder andere Investor der vergangenen Jahre. Doch Größe hat ihren Preis: Seine Strategie verstärkt die Zyklen, seine Finanzierung wird teurer, seine Index-Abhängigkeit steigt – und sein „Never sell“-Versprechen könnte im Ernstfall zum Problem werden.
Für den Markt bedeutet das:
Solange Saylor standhaft bleibt, bleibt das System stabil.
Doch wenn er wankt, wankt womöglich der ganze Kryptomarkt mit ihm.