Gehirn aus Silizium – Dresdner Start-ups wollen die KI-Revolution auslösen

Die Entdeckung, die alles veränderte

Als die Physikerin Heidemarie Krüger 2011 im Labor ein ungewöhnliches Messmuster auf dem Bildschirm eines Doktoranden sieht, ahnt sie: Hier entsteht etwas Großes. Eine Verbindung aus Bismut und Eisenoxid zeigt ein Verhalten, das frappierend an menschliche Synapsen erinnert – jene Verbindungen zwischen Nervenzellen, die unser Denken möglich machen.

Vierzehn Jahre später leitet Krüger ihr eigenes Start-up Techifab, das Halbleiter entwickelt, die Informationen wie das menschliche Gehirn verarbeiten und speichern. Ihr Ziel: den Energieverbrauch moderner KI-Systeme radikal zu senken.

„In einem herkömmlichen Computer geht bis zu 90 Prozent der Energie allein für den Datentransport zwischen Speicher und Prozessor verloren“, erklärt sie. „Unser Chip vereint beides – Rechnen und Speichern – auf einer Fläche von wenigen Millimetern.“

Dresden als Labor der Zukunft

Techifab ist kein Einzelfall. Nur wenige Kilometer entfernt arbeitet Spinncloud, ein Spin-off der TU Dresden, an einem völlig neuen Supercomputer. Tausende Prozessoren sind dort parallel geschaltet wie Neuronen im Gehirn. Gründer Hector Gonzales, ein 38-jähriger Elektroingenieur aus Kolumbien, will den „denkenden Computer“ zur Realität machen.

Ihr System „Spinnaker-2“ ist bereits in der Wirkstoffforschung im Einsatz: Mit über 650.000 Prozessorkernen simuliert der Rechner Millionen künstlicher Neuronen – und verbraucht nur ein Bruchteil der Energie herkömmlicher Supercomputer.

Der Mensch als technisches Vorbild

Beide Unternehmen arbeiten an derselben Vision: Rechnen nach biologischem Prinzip. Während klassische Chips Daten digital in Nullen und Einsen pressen, nutzen neuromorphe Bauteile analoge Widerstände, die sich fließend verändern – wie der Abstand zwischen zwei Neuronen.

Das Ergebnis: enorme Energieeffizienz und Geschwindigkeit. Besonders spannend ist der Einsatz direkt an der Datenquelle, etwa bei autonomen Fahrzeugen oder Industrierobotern. Diese sogenannte Edge-KI erlaubt blitzschnelle Reaktionen, ohne dass Daten erst an ein Rechenzentrum geschickt werden müssen.

Europas Antwort auf das Silicon Valley?

Im Gegensatz zu US-Giganten wie Nvidia oder Intel setzen die Dresdner Gründer auf Materialinnovationen und Analogie statt reiner Rechenleistung. Krügers Team bringt bis zu 100 Memristoren – künstliche Synapsen – auf einen Chip. In naher Zukunft sollen ganze Siliziumscheiben mit Tausenden dieser Bauelemente bestückt werden.

„Wenn wir die Technik in die Serienfertigung bringen, könnte das den Stromverbrauch von KI-Anwendungen um bis zu 80 Prozent senken“, sagt Krüger. Die Pilotanlage im ehemaligen Reinraum von Jenoptik soll noch dieses Jahr starten.

Eine stille Revolution

Während die Welt über ChatGPT, GPUs und Stromkosten diskutiert, entsteht in Sachsen leise eine neue Art des Rechnens. Sie verspricht weniger Energieverbrauch, mehr Effizienz – und vielleicht den nächsten Technologiesprung Europas.

„Unser Rechner simuliert heute zehn Milliarden Neuronen – das sind zwölf Prozent eines menschlichen Gehirns“, sagt Gonzales. „Und wir stehen erst am Anfang.“

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