Wehrdienst-Streit eskaliert: Pistorius stellt sich gegen den Bundestag – und löst Koalitionskrise aus

Der Eklat kurz vor der Pressekonferenz

Alles war vorbereitet: Der Bundestag wollte am Dienstagnachmittag die Einigung auf das neue Wehrdienstgesetz präsentieren. Kameras standen, Journalisten warteten – doch dann platzte die Veranstaltung in letzter Minute. Grund: Ein Veto von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD).

In einer internen Fraktionssitzung hatte er die SPD-Abgeordneten gegen den überarbeiteten Gesetzentwurf aufgewiegelt, den Union und SPD gemeinsam erarbeitet hatten. „Der Minister hat die Fraktion der Sozialdemokraten angezündet“, sagte ein Teilnehmer. Der Konsens war dahin – und mit ihm die mühsam erarbeitete Koalitionsdisziplin.

Pistorius gegen das Parlament

Kern des Streits ist die Frage, wer künftig über den Übergang vom Freiwilligendienst zur Wehrpflicht entscheidet – der Minister oder das Parlament. Die Abgeordneten wollten Pistorius stärker kontrollieren: Ein „Vier-Stufenmodell“ sollte klare Aufwuchsziele und eine halbjährliche Berichtspflicht an den Bundestag festschreiben.

Für Pistorius offenbar ein Affront. Sein Entwurf sah keine konkreten Zahlen vor. Der Bundestag wollte dagegen einen „Aufwuchspfad mit messbaren Zielkorridoren“, der den Erfolg oder Misserfolg des Ministers transparent macht. Pistorius blockte.

Das geplante Stufenmodell

Der Kompromiss, der jetzt in der Schublade landet, sah vier Eskalationsstufen vor:

  1. Freiwilliger Wehrdienst mit besserer Bezahlung und Werbekampagnen.
  2. Zufällige Musterungspflicht, wenn zu wenige Freiwillige gefunden werden.
  3. „Bedarfswehrpflicht“, bei der per Los junge Männer eingezogen werden – nur bei parlamentarischem Beschluss.
  4. Allgemeine Wehrpflicht, falls der Bundestag im Spannungs- oder Verteidigungsfall mit Zweidrittelmehrheit zustimmt.

Verfassungsrechtlich ist das Modell laut Gutachten des früheren Verfassungsrichters Udo Di Fabio zulässig. Doch Pistorius will sich offenbar nicht vom Bundestag in seine Personalpolitik hineinregieren lassen.

Machtkampf mit der eigenen Fraktion

Dass Pistorius den Entwurf auf den letzten Metern stoppt, sorgt selbst in der SPD für Kopfschütteln. Abgeordnete werfen ihm vor, das Projekt „aus Eitelkeit“ zu torpedieren und die Regierung in eine neue Krise zu stürzen. Am Donnerstag sollte das Gesetz eigentlich in erster Lesung beraten werden – nun steht alles still.

„Egoistisch“ und „nicht im Interesse der Bundeswehr“, heißt es aus Unions- wie SPD-Kreisen. Tatsächlich gefährdet Pistorius mit seinem Vorgehen das zentrale Reformvorhaben der Sicherheits- und Verteidigungspolitik – in einer Zeit, in der Deutschland seine Wehrfähigkeit dringend stärken müsste.

Offene Machtfrage

Der Verfassungsrechtler Di Fabio formuliert es nüchtern: Die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr sei ein „verfassungsrechtliches Gebot“. Doch wer sie garantiert – Minister oder Parlament – bleibt unklar.

Eines aber ist sicher: Boris Pistorius hat der Koalition die nächste Krise beschert. Und die Frage, wie Deutschland künftig seine Soldaten rekrutiert, ist politisch explosiver denn je.

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